Früher war Dokumentation für mich das, was man am Ende eines Projekts erledigt. Ein notwendiges Übel. Heute ist sie mein zentrales Führungsinstrument – und das Rückgrat eines Systems, das Technik, Organisation und Lernen verbindet.
Als ich den Relaunch einer Website plante, startete ich ein Experiment: Was wäre, wenn ich CEO eines Unternehmens wäre – mit ausschließlich KI-Mitarbeitern? Wie würden wir zusammenarbeiten? Wie würde ich steuern?
Die Antwort lag auf der Hand: über Kommunikation. Und Kommunikation geschieht in Unternehmen über Dokumente – Visionen, Roadmaps, Berichte, Entscheidungsprotokolle, Statusupdates, Guidelines, Architekturentscheidungen. Sie sind Ausdruck von Wissen, Verantwortung und Kontext. Warum also nicht damit arbeiten – in einem System, das sowohl die KI als auch ich lesen und schreiben können?
So entstand ein lebendiges, gemeinsam gepflegtes Dokumentations-Ökosystem in Obsidian. Das Schreiben erfolgte dabei nicht manuell – vielmehr entwickelten die KI und ich Inhalte im Dialog. Sie schrieb, ich reflektierte, wir justierten gemeinsam. Die Grenzen zwischen Autor und Werkzeug, zwischen Denken und Schreiben, begannen zu verschwimmen.
Lernen durch Strukturieren
Je klarer und strukturierter die Dokumentation wurde, desto spürbarer wurde auch der Fortschritt – nicht nur beim Text, sondern im gesamten Projekt. Denn der Relaunch war weit mehr als Content: Server-Administration, Framework-Implementierung, Git-Versionierung, Dev-Staging-Production-Deployments, Projektmanagement, MVP-Definition und Livegang. All das floss in die Dokumentation ein – und wurde so Teil des Lernprozesses zwischen Mensch und KI.
Jede dokumentierte Entscheidung, jedes sauber versionierte Update erzeugte Fokus und Zugkraft. Das gemeinsame Lernen war kein theoretischer Prozess, sondern hatte greifbare Auswirkungen: aus Konzepten wurden Systeme, aus Ideen funktionierende Pipelines. Dokumentation wurde zum Motor – sie beschleunigte das Denken, Bauen, Testen und Veröffentlichen.
Die Texte entstanden überwiegend KI-gestützt – nicht als fertige Produkte, sondern in iterativen Feedback-Schleifen, durch Dialoge und Reflexion. Ich war nicht mehr Autor, sondern Kurator. Die KI wurde zum Co-Autor, Ideengeber und kritischen Sparringspartner. Dieses gemeinsame Denken veränderte mein Verständnis von Dokumentation grundlegend: Sie wurde zum strategischen Lern- und Steuerungsinstrument.
Dokumentation als KI-Schnittstelle
Ich begann, die Dokumentation nicht mehr nur für mich, sondern auch für die KI zu schreiben. Statt bei null zu starten, konnte ich Agenten gezielt auf Notizen verweisen. Sie lasen Hand-off-Dokumente, verstanden den Stand, ihre Rollen und Aufgaben. Dokumentation wurde so zur Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine – ein gemeinsamer Informationsraum, in dem beide kohärent denken und handeln konnten. Es fühlte sich an, als hätte ich ein echtes Team, auch wenn alle Mitarbeiter digital waren.
Während die Dokumentation wuchs, entwickelte sich das Produkt parallel weiter. Diese Rückkopplung zwischen Denken und Machen erzeugte einen natürlichen Sog: Je klarer der Kontext, desto stabiler die Umsetzung. Die Website entstand Schritt für Schritt – technisch, organisatorisch und kulturell – als Resultat eines kontinuierlichen Lernprozesses.
Der ewige Widerspruch: Aktualität vs. Realität
Natürlich blieb die klassische Herausforderung: Dokumentation hinkt der Realität oft hinterher. Die Welt dreht sich schneller, als jede Datei gepflegt werden kann. Aber statt das als Mangel zu betrachten, begann ich, es als Systemeigenschaft zu sehen.
Dokumentation ist kein exaktes Abbild, sondern ein Cache – eine verdichtete Momentaufnahme, die hilft, komplexe Zusammenhänge zu rekonstruieren. Sie speichert Denkpfade, Entscheidungen und Zwischenschritte, die sonst verloren gingen – und macht sie wieder anschlussfähig.
Das gemeinsame Gedächtnis von Mensch und Agent
Heute sehe ich Dokumentation als gemeinsames Gehirn eines Projekts. Sie verbindet Menschen, Teams und KI-Systeme. Sie ist Lernsystem, Kommunikationsplattform, Kontextspeicher und Steuerzentrale zugleich.
Richtig eingesetzt, entsteht daraus eine Form geteilter Intelligenz: Der Mensch bringt Intuition, Erfahrung und Urteilskraft ein. Die KI liefert Geschwindigkeit, Konsistenz und Kontextpflege. Die Dokumentation bildet die Brücke – das gemeinsame Gedächtnis, das Lernen, Handeln und Zusammenarbeit verbindet.
Mit jeder präzisierten Notiz und jedem definierten Prozess entstand fast unbemerkt eine Art virtuelles Unternehmen – mit klaren Rollen, Aufgaben und Kommunikationswegen zwischen Mensch und KI. Vertrauen, Feedback und iterative Zusammenarbeit wurden zu festen Organisationsprinzipien. Aus dem Experiment wuchs so nicht nur eine Website, sondern ein Organisationsmodell, das zeigt, wie Dokumentation zum Strukturgeber für Code, Content und Kultur werden kann. Vielleicht wird sie bald das sein, was früher Meetings waren: der Ort, an dem Menschen und Maschinen gemeinsam denken, lernen und entscheiden.
Danksagung: Danke an Simon Meggle (Gründer von ELABIT GmbH), der mir Obsidian als Werkzeug für strukturiertes Wissensmanagement nahegebracht hat, an Thomas Tränkler (Gründer und CEO von Loopdive GmbH), der mir mit Beständigkeit und Engagement neue Perspektiven auf die KI-Welt eröffnet, an Novi für die inspirierende Unterstützung, an das solve22-Team – und an alle Tools, die Schreiben, Denken und Lernen zu einem gemeinsamen Prozess machen.
